Professor Dr. Hans Müller | ||||||||||||||||||||
Am Mittwoch, dem 30. November 2005, starb der Dortmunder Geschichtsprofessor Dr. Hans Müller. Er war jemand, den man sicherlich als ein Dortmunder Unikum bezeichnen kann. Und sein Tod wird von vielen Leuten als großer Verlust für Dortmund gesehen. Ich habe Herrn Müller leider erst einige Jahre vorher kennengelernt und kenne deshalb nur seine letzten Lebensjahre aus eigenem Miterleben. Doch diese Zeit hat ausgereicht, um einen sehr intensiven Eindruck von dieser Persönlichkeit zu erhalten. Fast wöchentlich hat Professor Hans Müller in der Dortmunder Geschichtswerkstatt in Dortmund-Hörde einen Vortrag gehalten. |
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Die Geschichtswerkstatt ist eine Bewegung, die in den 1980er Jahren entstanden ist. Dabei steht das Ziel im Mittelpunkt, Geschichte nicht als Historie der Herrschenden zu begreifen, sondern die Vergangenheit aus der Sicht der gewöhnlichen Bürger zu verstehen und ihre politische Dimension zu begreifen. Der Geschichtsprofessor Dr. Hans Müller prägte das Gesicht der Dortmunder Geschichtswerkstatt von Anfang an sehr wesentlich. Über viele Dinge wusste er fast aus dem Stehgreif etwas zu berichten. Dies waren insbesondere die Themen, die zeitlich in sein Leben fielen. Das fing an mit der Zeit des Dritten Reiches und des zweiten Weltkriegs und setzte sich fort über die Adenauer-Ära und über die Studentenproteste der 68er bis zu den aktuellen politischen Bewegungen. Insbesondere über seine eigene Rolle in der Zeit des Dritten Reiches hat er sich immer wieder Gedanken gemacht. Er war Jahrgang 1928, befand sich also im letzten Kriegsjahr gerade in jugendlichem Alter. Offen hat er darüber berichtet, daß er noch in den letzten Kriegstagen bereit war, für den Führer Adolf Hitler zu sterben. Er war damals im Rahmen des Volkssturm in Schwerte eingesetzt, um dort gegen die einmarschierenden Allieerten zu kämpfen. Daß er den Krieg überlebt hat, verdankt er seinem Vorgesetzten, der die Situation besser eingeschätzt hatte und seinen Soldaten das Desertieren befahl. Außerdem hatte er Glück, daß er beim Heimweg nicht von den Feldjägern der Wehrmacht aufgegriffen wurde. Diese Geschehnisse offen zu erzählen, war Professor Müller ein wichtiges Anliegen. Denn es kam ihm darauf an, die eigenen Vergangenheit nicht schönzufärben oder zu verdrängen, sondern zu ihr zu stehen und aus ihr zu lernen. Für die kritische Auseinandersetzung des jugendlichen Müller mit dem Nazi-Regime sorgte wohl vor allem seine spätere Frau Katja. Sie war in der Gartenstadt aufgewachsen und dort sehr liberal erzogen worden. Insbesondere ihr Vater hatte sich offen gegen das Nazi-Regime gestellt. So hat Herrn Professor Müller dann auch die Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit sehr kritisch beleuchtet. Daß man eine Widerstandsbewegung wie die rote Kapelle in die kommunistische Ecke stellen wollte und die Edelweißpiraten als kriminelle Jugendliche abstempeln wollte, war ihm ein Dorn im Auge. Er verfaßte zu diesem Themen nicht nur Vorträge, sondern schrieb auch Bücher und Unterrichtsmaterialien. Sein Buch "Katholische Kirche und Nationalsozialismus" (herausgegeben 1963 in der Nymphenburger Verlagshandlung) gilt als Standardwerk über die Rolle der Kirche im Dritten Reich. Auch die Rolle von Schule und Erziehung war ein Thema, was Professor Müller sehr am Herzen lag. Schließlich war er nach dem Krieg zunächst Volksschullehrer und hatte damit aus erster Hand einen Einblick in das Schulsystem der Ära Adenauer erhalten. Die berufliche Laufbahn von Professor Müller zeichnet sich wie folgt ab:
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Das Photo oben zeigt Herrn Professor Müller mit seiner Frau Katja Müller (geb. Kaufhold). Die Bilder auf dieser Seite habe ich am 30. April 2005 anläßlich eines Stadtrundgangs durch Hörde aufgenommen. Thema war die Hexenverfolgung, d.h. die Verfolgung von (überwiegend) Frauen unter dem Vorwurf der Hexerei. Zusammen mit der Tochter Susanne Ohly schrieb Katja Müller das Buch "Lebendig verbrannt vor den Toren der Stadt". Katja Müller, die sich als ungezähmte und lustvolle Frau begreift, hat die Arbeit ihres Mannes stark geprägt. |
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Gerade Frauenthemen war Herrn Professor Müller in den letzten Jahren ein starkes Anliegen. So fiel es ihm immer wieder auf, wenn in der offiziellen Geschichtsschreibung das Geschlechterverhältnis sehr einseitig zu den Männern ausgerichtet war. Zu einer Betrachtung der Geschichte aus Sicht der einfachen Bürger, wie Herr Müller dies in der Geschichtswerkstatt betrieb, gehört natürlich gleichermaßen die Sicht durch die Brille beiderlei Geschlechts. Besonders beeindruckend war der Vortrag von Frau und Herrn Müller über die junge Widerstandskämpferin Cato Bontjes van Beek. Sie war ein liberal erzogenes Mädchen voll Lebensfreude, das eigentlich nur "ein Mensch" sein wollte. So half sie im Widerstand gegen das Naziregime u.a. bei der Verbreitung von Flugblättern und bei der Nachrichtenübermittlung für Zwangsarbeiter. Im Alter von 22 Jahren wurde sie am 5. August 1943 im Zuchthaus Berlin-Plötzensee hingerichtet. Ihre Tagebucheinträge, in denen sie zum Schluß auch auf die bevorstehende Hinrichtung durch das Fallbeil eingeht, sind bedrückend. Doch noch bedrückender ist die nüchterne herablassende Beschreibung ihres weiblichen Körpers durch den Arzt, der den Körper ohne Kopf für die medizinische Forschung gebrauchen durfte. Nicht nur in der Geschichtswerkstatt war Herr Müller als gute Seele und Geschichtskenner aktiv, auch der Universität war er bis zuletzt treu. Im Vorlesungsverzeichnis der Universität Dortmund für das Wintersemester 2005/2006 ist Herr Professor Dr. Müller mit einem wöchentlichen Proseminar zum Thema "Frauen (und Männer) in der Zeit des deutschen Faschismus" mit der genauen Beschreibung "Das Geschlechterverhältnis: BDM und HJ; Die Frauen und Hitler; Frauen als Führerinnen; Frauen im KZ (als Häftlinge und Aufseherinnen); Frauen und Männer im Widerstand; Frauen in der Partei; Die "normale" deutsche Frau." eingetragen. Doch die Zeit, als er nach Ende der Semesterferien das Seminar hätte halten sollen, fiel etwa zusammen mit der Diagnose von Leberkrebs und Lungenkrebs. Außerdem wurde die Pakinson-Krankheit festgestellt, die sich aufgrund von Unverträglichkeit gegen relevante Medikamente nicht stoppen ließ. Meinem Kenntnisstand nach hatte der Leberkrebs bereits auf andere Organe übergegriffen. So verließ uns Professor Müller bereits wenige Monate später am 30. November 2005 leider für immer. Professor Müller war zwar katholisch, aber nicht streng gläubig. Öfters sprach er davon, daß er weder bejahen noch vereinen könne, daß es ein Leben nach dem Tod gibt. Ob es Gott gibt und ob man nach dem Tod weiterlebt, werde er noch früh genug erfahren, so waren seine Worte. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, doch Hans Müller kann uns Lebenden leider nicht mehr von seinen Erkenntnissen berichten.
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