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Die Beschilderung der Linienstraße


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Zu der Beschilderung der Dortmunder Linienstraße, die so formuliert ist, daß sie nach einem Verbot für Jugendliche aussieht, diese Straße zu betreten, und zu der sich daraus ergebenen Frage, ob man sich strafbar macht, wenn man mit Personen unter 18 Jahren durch die Straße geht, habe ich von Mark Obrembalski folgende Stellungnahme erhalten:



Der Gesetzgeber drückt sich in §1 JÖschG wesentlich allgemeiner aus, er spricht von "Orten, an denen ihnen (/Kindern und Jugendlichen/) eine unmittelbare Gefahr für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl droht". Ob dies in einer Bordellstraße der Fall ist, müssen die zuständigen Behörden beurteilen. An der Frauentormauer in Nürnberg haben sie es zumindest nicht für angebracht gehalten, Schilder nach Art der Linienstraße aufzustellen, und das, obwohl nur eine Straße weiter Büros verschiedener Jugendverbände zu finden sind.

Bzgl. der Dortmunder Linienstraße ist zu erwarten, dass die Straße auch ganz normal gewidmet ist, wobei der Ausdruck "öffentlicher Verkehr" hier eine Doppeldeutigkeit erhält, die im Rahmen der Widmung vermutlich nicht so beabsichtigt war.   ;-)

Auffällig ist zunächst, dass sich das Schild auf das JÖSchG vom 27.7.1957 bezieht und damit offenbar etwas älteren Datums ist. Selbige Fassung des JÖSchG ist nämlich am 1.4.1985 außer Kraft getreten. Seitdem gilt das neue JÖSchG vom 25.2.1985:

Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit
(Jugendschutzgesetz - JÖSchG)

Vom 25. Februar 1985 (BGBl. I S. 425), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches, der Strafprozeßordnung und anderer Gesetze (Verbrechensbekämpfungsgesetz) vom 28. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3186)

§1 (Pflicht der Behörden zur Abwendung von Gefahren)

Halten sich Kinder oder Jugendliche an Orten auf, an denen ihnen eine unmittelbare Gefahr für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl droht, so haben die zuständigen Behörden oder Stellen die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Wenn nötig, haben sie die Kinder oder Jugendlichen

  1. zum Verlassen des Ortes anzuhalten,
  2. einem Erziehungsberechtigten zuzuführen oder, wenn kein Erziehungsberechtigter erreichbar ist, in die Obhut des Jugendamtes zu bringen.
In schwierigen Fällen haben die zuständigen Behörden oder Stellen das Jugendamt über den jugendgefährdenden Ort zu unterrichten.

Abgesehen von der 1957 noch etwas altertümlichen Formulierung unterscheidet sich der neue §1 JÖSchG aber nicht wesentlich von seinem Vorläufer. Ein möglicherweise auf der Basis des alten JÖSchG ergangener Verwaltungsakt könnte sich also auch auf das neue JÖSchG stützen.

Fraglich ist allerdings, ob es sich bei dem Schild überhaupt um einen Verwaltungsakt - in Form einer Allgemeinverfügung - handelt. Anders als bei Verkehrszeichen, deren Rechtsnatur umstritten ist, handelt es sich bei dem Schild nämlich eindeutig um eine schriftliche Anordnung. Ein schriftlicher Verwaltungsakt ist jedoch nach §44 II Nr.1 VwVfG nichtig, wenn er die erlassende Behörde nicht erkennen lässt. Der Einfachkeit halber will ich annehmen, dass das Schild wenigstens nach dem 1.1.1977, dem Tag des Inkrafttretens des VwVfG aufgestellt worden ist. Einen Hinweis auf die erlassende Behörde sucht man auf dem Schild vergeblich, so dass es als Allgemeinverfügung jedenfalls nichtig wäre.

Auch mit einem solchen Hinweis wäre die rechtliche Wirkung des Schildes wohl gering: §1 JÖSchG wendet sich direkt nur an die "zuständigen Behörden" und nicht an die Jugendlichen selbst, ihre Begleiter oder gar an jedermann. Nur die Behörden haben die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Da der Inhalt des Schildes sich darauf beschränkt, gegenüber Jugendlichen ein Verbot auszusprechen, kann darin allenfalls eine polizeirechtliche Verfügung nach der Art eines Platzverweises gesehen werden. Ein nordrhein-westfälisches Polizeigesetz liegt mir nicht vor, ich nehme jedoch an, dass auch in NRW das Nichtbeachten eines Platzverweises weder strafbar noch ordnungswidrig ist, sondern nur weitere polizeiliche Maßnahmen auslösen kann. Da für solche Maßnahmen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gilt, hätte ein Polizist gegenüber einem sich auf der Straße aufhaltenden Jugendlichen das mildeste Erfolg versprechende Mittel zur Durchsetzung der Allgemeinverfügung einzusetzen. Dieses dürfte regelmäßig darin bestehen, einen ausdrücklichen Platzverweis gegenüber dem Jugendlichen auszusprechen.

Zudem ist zweifelhaft, ob das vom Schild ausgesprochene Verbot überhaupt von §1 JÖSchG gedeckt ist. Zunächst ist in der Tat fraglich, ob die Straße überhaupt eine Gefährdung für Kinder und Jugendliche darstellen kann, was ich bezweifeln, aber nicht weiter untersuchen will. Außerdem bezieht sich §1 JÖSchG nur darauf, dass sich Kinder oder Jugendliche an entsprechenden Orten "aufhalten". Mit "aufhalten" könnte aber nicht das schlichte Befinden an einem Ort sondern vielmehr das Verweilen an diesem gemeint sein, so dass das Begehen einer Straße, solange es nur der Ortsveränderung dient, gerade nicht von §1 JÖSchG erfasst wäre. Für diese Auffassung spricht, dass in einem solchen Fall regelmäßig keine behördlichen Maßnahmen erforderlich sind, da sich der potentiell gefährdete Jugendliche ja selbst aus der gefährlichen Zone bewegt. Zudem sind Orte, die derart intensiv jugendgefährdend sind, dass eine Gefahr bereits in wenigen Minuten selbst bei Jugendlichen besteht, die an ihrer Umgebung gar nicht besonders interessiert sind, schwerlich vorstellbar. Meiner Meinung nach kann Jugendlichen das reine Begehen einer öffentlichen Straße daher nicht unter Berufung auf §1 JÖSchG verboten werden.

Mark Obrembalski 21. August 2000    


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